ARA Altenrhein gehört zu den modernsten Europas
St.Galler Tagblatt, 5. September 2019, von Christoph Zweili
Dank Ozon und Aktivkohlefilter arbeitet die Abwasserreinigungsanlage Altenrhein so sauber wie noch nie – so sauber, dass am Schluss des Kreislaufs sogar Felchen und Saiblinge gehalten werden.
Der Rheinspitz ist in Rufweite, die Landesgrenze zu Österreich nur einen Steinwurf entfernt: Zwischen dem Flugplatz Altenrhein und dem naturtrüben Fluss ist eine Kleinstadt mit Gebäuden, Türmen und Becken herangewachsen. Seit 1975 werden hier – im Niemandsland am Alten Rhein –, Grobstoffe, Sand und Öl aus dem Abwasser entfernt, setzen sich Fäkalstoffe ab, werden Kohlenstoff- und Stickstoffverbindungen abgebaut und Phosphate ausgefällt – und das Tag für Tag: Dank unentbehrlicher Kleinstmitarbeiter. Diese Bakterien, Pilze und Protozoen liefern sich unter der strudelnden Oberfläche einen Krimi – fressen und gefressen werden heisst das Prinzip.
Über 60’000 Einwohner in 17 Verbandsgemeinden zwischen Goldach und St.Margrethen führen ihr Abwasser der ARA Altenrhein zu – erst seit kurzem dabei sind die Vorderländer Gemeinden Rehetobel und Speicher; im Oktober kommt Trogen dazu. Die Kläranlage ist auf 120’000 Einwohner ausgelegt, angeliefert wird heute «Fracht» von rund 100’000 – ein guter Teil davon von der nahen Industrie.
Dem Bild einer normalen Kläranlage entspricht die ARA Altenrhein längst nicht mehr. Was hier auf drei Hektaren Fläche geschieht, sprengt die Dimensionen der 1950er-Jahre als auch der Bodensee stark durch Siedlungs-, Gewerbe- und Industrieabwasser verschmutzt war. Heute werden in Altenrhein auch Speiseabfälle von Grossverteilern, etwa der Migros, vergärt und verstromt. «Damit haben wir die Stromproduktion seit 2012 verdoppelt», sagt ARA-Geschäftsführer Christoph Egli. «Jährlich 6,5 Millionen Kilowattstunden Strom erzeugen wir heute. Mit einer weiteren Million wären wir über den gesamten Betrieb rechnerisch energieautark, also nicht mehr auf Fremdenergie angewiesen. Nur auf die Abwasserreinigung bezogen produzieren wir doppelt so viel wie nötig.»
Kompetenzzentrum für Klärschlammbehandlung
In der Anlage wird keine Kilowattstunde Energie vergeudet: Was übrig bleibt, wird in die Schlammtrocknung gesteckt. Darauf hat sich Altenrhein seit mehr als 20 Jahren spezialisiert. Flüssiger Klärschlamm wurde früher direkt in der Landschaft verwertet: Bauern nutzten ihn zur Düngung ihrer Kulturen. Das ist seit 2006 allerdings verboten, der typische Geruch von den Feldern verschwunden. Heute wird von rund 350’000 Personen in der Ostschweiz produzierter Klärschlamm in Altenrhein zwischengestapelt, getrocknet und anschliessend als Granulat in der Zementindustrie entsorgt. In naher Zukunft wird daraus Stickstoff- und Phosphordünger hergestellt.
Trotz dieses guten Ausbaustandards genügt die Anlage nun nicht mehr: Pestizide, Medikamente, Biozide und Antibiotika – sogenannte Mikroverunreinigungen und Spurenstoffe – sind zum Problem geworden: Für den Menschen und für Kleinstlebewesen. Diese Mikroverunreinigungen gelangen über diffuse Quellen, zum Beispiel aus der Landwirtschaft und dem Verkehr, in die Gewässer.
Auch die ARA Altenrhein hat für rund 18 Millionen Franken aufgerüstet und erfüllt damit als erste Anlage im Kanton St.Gallen die Vorschriften des Bundes. Noch ist die zusätzliche Reinigungsstufe, welche die Spurenstoff-Partikel dank Ozon und granulierter Aktivkohle zuerst aufspaltet und dann absorbiert und abscheidet, im letzten Testbetrieb. «Wir haben auf einer Pilotanlage zweieinhalb Jahre lang getüftelt, bis wir die beste Kohle fanden und dem Geheimnis der Dosierung näherkamen», sagt Egli. Stolz fügt er an: «Das kombinierte Verfahren mit Ozon und granulierter Aktivkohle ist der Rolls Royce für Abwasseranlagen – das Beste, was die Technik derzeit bietet, mit einem guten Kosten-Nutzen-Verhältnis.» Es ist die erste Anlage dieser Art in Europa und eine der wenigen weltweit. «Es haben sich bereits Ingenieure, Wissenschafter, Politiker und Anlagenbetreiber aus Schweden für eine Besichtigung angemeldet.»
Wer würde Abwasserfelchen essen?
Geschäftsführer Egli hat sich etwas Besonderes einfallen lassen, um die Innovationskraft der ARA Altenrhein auch für den Laien unter Beweis zu stellen: Er hält unter Aufsicht der Zürcher Fachhochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW in Wädenswil sowie einer Tierärztin Felchen und Saiblinge in Fischbehältern, die mit gereinigtem Abwasser gefüllt sind. Damit wird die Güte der 4. Reinigungsstufe demonstriert. Amtliche Tests haben gezeigt: Die Tiere sind kerngesund, lebensmittelkonform und munden. «Wir streben vorerst keine Produktion in grossem Stil an, aber zwei bis drei Tonnen Fisch pro Jahr werden es schon sein.»
Elf Anlagen werden aufgerüstet
Aufgrund des neuen Gewässerschutzgesetzes von 2016 müssen schweizweit rund 120 der heute 700 bis 800 Kläranlagen an besonders belasteten Gewässern eine 4. Reinigungsstufe zum Abbau von Spurenstoffen erstellen. Finanziert wird der Ausbau über einen Bundesfonds, in den alle kommunalen Kläranlagen neun Franken pro angeschlossenen Einwohner und Jahr einzahlen. Die Abgabe, mit der 75 Prozent der Erstinvestitionen der zusätzlichen Reinigungsstufe von total 1,2 Milliarden Franken gedeckt werden, ist bis 2040 begrenzt. Die restlichen 25 Prozent werden durch die entsprechenden Abwasserverbände oder Gemeinden finanziert.
Mit der gesetzlichen Verankerung der 4. Reinigungsstufe nimmt die Schweiz international eine Pionierrolle im Gewässerschutz ein. Im Kanton St.Gallen sind elf Anlagen bezeichnet worden, die für die 4. Reinigungsstufe aufgerüstet werden müssen – die ARA Thal-Altenrhein ist die erste, die nun in Betrieb geht. Es folgen die ARA Steinach-Morgental (voraussichtlich 2021) und die ARA Flawil-Oberglatt (2022). «Wenn die elf ARA ausgebaut sind, sind rund 64 Prozent der Einwohnerinnen und Einwohner im Kanton an eine Anlage mit 4. Reinigungsstufe angeschlossen. Im Einzugsgebiet des Bodensees, wo die grossen Anlagen stehen, sind es 82 Prozent», sagt Christoph Baumann, Leiter der Abteilung Abwasser, beim Kanton St.Gallen. «Ein 100-prozentiger Ausbau wäre finanziell unrealistisch.» Die aufgerüsteten Anlagen filtern einen Grossteil problematischer Spurenstoffe aus dem Abwasser. Vorgeschrieben ist ein Effekt von 80 Prozent in Bezug auf das Verhältnis Rohwasser zum Kläranlagenausfluss. «Sorgen bereiten uns gewisse Röntgen-Kontrastmittel. Da erreichen wir die 80 Prozent nicht», sagt Baumann.