Pionierarbeit mit Phosphor
Phosphor ist ein wichtiger Nährstoff und wird mit der Klärschlammentsorgung dem natürlichen Kreislauf entzogen. Das soll sich ändern – ab Januar macht der Bund Phosphorrückgewinnung zur Pflicht. Die ARA Altenrhein tüftelt an der nötigen Technologie.
CORINA TOBLER, Ostschweiz am Sonntag, 27.12.2015
ALTENRHEIN. Die Forderung ist da, die Technologie noch nicht. Sie muss aber entwickelt werden, innerhalb der kommenden zehn Jahre. So lange haben die Betroffenen Zeit, eine Methode zu entwickeln, mit der in Kläranlagen der Nährstoff Phosphor aus dem Klärschlamm rezykliert werden kann. Diese Übergangsfrist setzt der Bund in der ab 1. Januar geltenden Verordnung über die Vermeidung und die Entsorgung von Abfällen (VVEA) fest. Die VVEA ersetzt die Technische Verordnung über Abfälle und legt den Fokus vermehrt auf Vermeidung von Abfall und auf seine Verwertung.
Pionierprojekt in Altenrhein
In den letztgenannten Bereich fällt die Herausforderung, mit der sich die Kläranlagen nun landesweit konfrontiert sehen. Während die Bürger die noch nicht abschätzbaren Kosten tragen werden, müssen die Wissenschafter einen Weg finden, Phosphor aus dem Klärschlamm zu entfernen und wiederverwendbar zu machen. Das ist eine komplexe Angelegenheit und erfordert ein Verfahren, bei dem möglichst wenige Stoffe anfallen, welche die Umwelt schädigen können. Dies wiederum ist schwierig, weil Klärschlamm nicht nur wertvolle Stoffe wie eben Phosphor enthält, sondern auch Schadstoffe, die aus dem Wasser gefiltert und dann als Teil des getrockneten Klärschlamms verbrannt oder deponiert werden.
Dem zukunftsträchtigen Verfahren will der Abwasserverband Altenrhein in Zusammenarbeit mit der Hochschule für Life Sciences der Fachhochschule Nordwestschweiz in einem Projekt näherkommen, das die Kommission für Technologie und Innovation unterstützt. «Wir möchten mithelfen, die Entwicklung anzustossen und unterstützen daher den Betrieb einer Pilotanlage bei uns», sagt Christoph Egli, Geschäftsführer des Abwasserverbands Altenrhein (AVA). Auf dem Gelände des AVA, der den Klärschlamm von 350 000 Menschen aufnimmt, steht seit Juli eine Pilotanlage der Firma Susteen Technologies.
Schadstoffe müssen weg
Die auf den ersten Blick unscheinbare Anlage kann an einem Tag portionenweise höchstens 25 Liter Klärschlamm verarbeiten. Dies bei 400 bis 800 Grad Celsius, denn sie betreibt sogenanntes thermo-katalytisches Reforming. Bei diesem Verfahren wird getrockneter Klärschlamm unvollständig verbrannt und so chemisch aufgespalten. Dabei entsteht Klärschlamm-Koks, eine Art Kohle, in der Phosphor und weitere Stoffe gebunden sind; dazu kommen weitere Abfallstoffe, die als Flüssigkeit abgeführt werden. Das Pilotprojekt muss nun die zwei entscheidenden Fragen klären. Erstens: Gelingt es, den Koks von Schadstoffen abzureichern und die weiteren Abfallstoffe unschädlich zu machen? Und zweitens: Ist die Verfügbarkeit von Phosphor im Koks hoch genug, damit die Pflanzen den neuartigen Dünger verwerten können?
Demo-Anlage ist erklärtes Ziel
Die zweite Frage kann Christoph Egli bereits jetzt positiv beantworten: «Erste Pflanzenversuche haben gezeigt, dass die Verfügbarkeit von Phosphor im Koks hoch ist», sagt Egli, dessen erklärtes Ziel der zeitnahe Bau einer grosstechnischen Demo-Anlage für das neue Verfahren in Altenrhein ist. «Pionierarbeit hat beim AVA Tradition. Wir haben eine Verantwortung der Natur und unseren Klärwerkspartnern bei der ARA gegenüber – dazu kommt unser wissenschaftliches Interesse an der Sache», legt Egli die Beweggründe für den grossen Einsatz offen.
Problem von globalem Ausmass
Apropos grosser Einsatz. Weshalb sind Phosphor und seine Rückgewinnung eigentlich so wichtig? Hauptsächlich, weil Phosphor in sämtlichen Zellen von Lebewesen eine wesentliche Rolle spielt. In der Natur ist das Vorkommen von Phosphor aber begrenzt, oft ist er der begrenzende Faktor für Pflanzenwachstum und somit für die Nahrungsmittelproduktion. Da aber die Weltbevölkerung weiterhin und rasant wächst, steigt ihr Nahrungsmittelbedarf. Damit die landwirtschaftliche Produktion Schritt halten kann, ist Dünger nötig, der Phosphor enthält. Dieser wird aus phosphorhaltigen Erzen hergestellt, die nicht erneuerbar sind. Der Abbau und die Düngerherstellung sind mit erheblichen Umweltbelastungen verbunden. Der in Form von Dünger ausgebrachte Phosphor landet teilweise im Abwasser und damit in den Kläranlagen. Dort wird er aus dem Abwasser gefiltert und dann als Bestandteil des Klärschlamms in aller Regel verbrannt – geht also unwiederbringlich verloren. Dies insbesondere seit 2006 das Ausbringen von Klärschlamm auf landwirtschaftliche Flächen verboten wurde.
Fernwärme als Zugabe
Die Konsequenz ist, dass die Schweiz laut Zahlen des Bundesamts für Umwelt aus dem Jahr 2006 jährlich rund 16 500 Tonnen Phosphor importiert; den Teil im Klärschlamm aber ständig aus dem Verkehr zieht. Dabei, so das Bafu, könnten rund 10 000 Tonnen jährlich wiederverwertet werden. Das grösste Potenzial liegt im Recycling des Phosphors im Klärschlamm. Dieses soll mit der neuen Verordnung ausgeschöpft werden. Christoph Egli ist zuversichtlich, dass der technologische Durchbruch in der zehnjährigen Frist gelingt. Er hofft, dass die Phosphorrückgewinnung in Altenrhein möglich sein wird. «Wir könnten aus unserem Verfahren nicht nur Phosphor, sondern auch Energie für Fernwärme gewinnen.» Das ist zwar noch Zukunftsmusik, gut klingen tut sie aber allemal.